Samstag, 23. April 2011

zum Mythos des Jakobsweges

Da hier keiner einreicht, zwischendurch mal ein Versuch von mir.

Es versprach, kein schöner Tag zu werden. Die französische Erde dürstete nach Wasser, und Gott schien diesem Landstrich gewogen. Der Umstand, dass ich am Vorabend noch lange den Garten gegossen hatte, schien unserem zynischen Schöpfer zu gefallen, und so beschloß ich, unserem himmlichen Schelm einen Besuch abzustatten, um ein Paar Dinge zu klären. Der Jakobsweg war nah, eine Wallfahrtskapelle schnell gefunden, mein Ziel für eine Aussprache das Bergdorf Thines. Um den Anschein einer Pilgerfahrt zu vermeiden, wählte ich eine Sonnenbrille als Schutz vor dem ‚Frommen Blick‘ der Bergpriester, den türkisen Opel Cabrio als modernen Begleiter, und eine Spiegelreflexkamera um Zeugnis abzulegen. In der Hoffnung, als einfacher Tourist durchzugehen, wollte ich meine atheistische Gesinnung hinter meinen verdunkelten Gläsern so lange wie möglich kaschieren. Ich würde allein sein dort oben; ohne Schutz vor der Rache des Kant- und Nietzsche-Hassers; dem Himmel so nah, dass man Gott würde fluchen hören können. Ich machte mich auf den Weg.

Die Fahrt nach Les Vans bliebt ruhig. Gelassen machte ich noch einen Abstecher in ein nahgelegenes village charactères, dem man im Französischunterricht wohl den Begriff „pittoresque“ beigeordnet hätte. Danach bog ich in die Schlucht, die mich nach Thines bringen sollte. Es war etwas diesig und die erste monumentale Steinbrücke verführte zum ersten Innehalten und Fotografieren von Bergbächen. Die schroffe Natur auf meinem Weg sorgte für die erste Demut vor der Schöpfung und ließ mich das eine oder andere Mal ehrfürchtig erschauern. Netter Versuch, Gott, dachte ich mir und ließ fortan als Antwort den Sportwagen noch etwas respektloser um die Kurven sprinten. Es fing leicht an zu regnen. Die Strecke blieb bis auf ein zwei Autos frei. Zwei verschiedenfarbige Ganzkörperregenmäntel tauchten hinter einer Kurve auf. Ich erwägte kurz die Armen mitzunehmen bis mir einfiel: Das sind ja Pilger, die wollen das! Mein trockenes Angebot wäre bei diesem Wetter wohl ein diabolisches: Ein freundlich lächelnder Deutscher mit Sonnenbrille und grellem Sportwagen, der dem frommen Wanderer scheinbar hilfsbereit seine Geißel abnehmen will und eine Abkürzung zum Glück verspricht. Wäre ich kein Menschenfreund, hätte ich angehalten und jedes Mitnahmeangebot hässlich kichernd mit "für eine kleine Gegenleistung" beendet.

Nach ewiger Zeit tauchte auf einem Vorsprung die mickrige Kapelle von Thines auf. Die anderthalb Stunden Fahrt sollten also bald ihren Höhepunkt erreichen. Die Natur wurde noch schroffer und abweisender, so dass man als normaler Mensch wohl an das Paradies glauben wollte. Die Unwirtlichkeit der Landschaft ließ einen unwillkürlich an kalte Klosterzellen und Sackleinen denken. Das erlebbare Mittelalter schien soweiso der wesentliche, eigentliche Kern des Pilgerhypes zu sein; das Seelenheil zumindest nicht: Seit Augustinus ist dies nicht mehr zu erreichen, jede Mühe zwar wichtig aber letztlich umsonst. Ich kam an einem Parkplatz vorbei, der als letzter ausgewiesen wurde: Man dürfe im Dorf nicht parken (was sich als pragmatisch erwies, denn es gab wirklich keinen Platz). Ich beschloss ketzerisch, mich den Regeln dieses Ortes nicht unterzuordnen. Der Kirche muss es wohl gefallen haben, dass Touristengruppen auf der letzten Etappe (1 km) doch gezwungen werden, die Wallfahrtskapelle demütig pilgernd zu erklimmen. Die Erlebnisgesellschaft war analog zur medialen Inszenierung immer schon eine Erfindung der Kirche gewesen. Es begann stärker zu regnen als ich das Schild passierte als reagiere dieser Ort auf mich. Ich bekam Angst in der Nässe meine Kamera zu riskieren.

Mir kam ein weißer Minivan entgegen. Ich hielt unterhalb des Dorfes noch ein mal, um das letzte Mal zur Kirche aufzuschauen und dies mit meiner Kamera festzuhalten als mir der gleiche Wagen erneut begegnete. Mein verständnisvolles, gutmütiges Lächeln, für das ich mich entschied, wurde von dem Fahrer mit heruntergelassener Scheibe mit gleicher Klasse begegnet. Seine Mitfahrerin wählte offene Feindseligkeit für ihre Gesichtszüge. Der Wagen passierte, und ich vermutete zunächst, dass man im Dorf etwas vergessen habe oder dass mein deutsches Kennzeichen für etwas Ressentiment gesorgt habe. Der Regen wurde unerträglich als ich in dem nicht-besuchten Dorf einen Mini-Kreisverkehr zuparkte. Thines war eine Sackgasse auf rauhem Schiefer gebaut mit dunklen Steinhäusern. Ich war entschlossen,  meine Mission zu beenden und dem Mysterium der Wallfahrt mit einer Fotographie die Seele zu klauen. Ich wollte das Foto, das jede Wanderung zu diesem Ort lächerlich machte.

Das Dach des Cabrios war bereits undicht und hatte unbemerkt meine einzige Karte durchnässt. Ich nahm die Kamera unter die Jacke und hastete an einem Accueil mit Postkartenverkauf vorbei. Von dem weißen Minivan war trotz der einzigen Straße nichts mehr zu sehen. Der Ort Thines verzichtete großzügig auf Wege und bot mir glitschige, wild-schräge Felsschichten auf dem Pfad zur Kapelle. Überall wo ich in dem 20-Seelen-Dorf Menschen hinter Scheiben erkennen konnte, hastete ich schnell weiter: bloß kein Kontakt mit Gläubigen! Mein nervöses Bewegungsmuster brachte mich über einen Umweg (Friedhof) zum Eingang der schlichten romanischen Kapelle. Die Tür war halb offen, nicht einladend. Ich schlüpfte hinein und zückte schnell die Kamera um Maria und Jesus zu bannen. Ich hörte Schritte. Als ich aus der Tür lugte, hatte mir gerade ein Mann auf der Hälfte der ca. 30 Stufen den Rücken zugewandt. Ich zog den Kopf ein und blieb in der Kirche. Der Mann entschloss sich, doch nicht den Weg bis zur Kirche zu gehen und verschwand. Dieser kleine Ort hatte Augen, der alte Tempel hässlicher Selbstdemütigung hatte die ersten Schutz-Dämonen ausgeschickt. Der Regen wurde noch stärker als spüre Gott mich Unheiligen auf seinem götzenhaften Berg der pilgernden Erniedrigung. Ich nahm durch den Regen gescheucht den direktesten Weg zum Auto und begegnete dort abermals dem weißen Minivan, der mich dort ohne Grund von hinten schief einparkte. Ich würdigte die beiden Insassen keines Blickes. Ich ließ mir die Konfrontation nicht anmerken, stieg äußerlich gelassen in meinen Wagen und sprintete den Weg zurück, den ich gekommen war.

Meine Scheiben waren auf ein mal extrem beschlagen und hinderten mich an einer zu schnellen Flucht vor diesem humorlosen Örtchen. Die Lüftung arbeitete gegen den Sichtverlust, doch der Nebel draußen war plötzlich ebenso stark. Für meine Tour wollte ich über die Bergkette hinüber, wusste jedoch, dass ich laut Karte eigentlich den ganzen Weg ins Tal zurück müsste, da wies ein Schild trocken an einer Abbiegung auf „vers D.4“ hin. Nirgens eingezeichnet in meiner nassen Karte. Warum hieß es nur "Richtung D4"? Die Straße führte weiter hinauf. Ein Trick? Eine Falle? Ich steckte mitten in den tief hängenden Wolken und erwartete jederzeit einen gierigen alten Mann, der mein Leben, meine Seele an einem goldenen Tor gegen Kaffee-Pads tauschen wollte. Ich hatte weder George Clooney noch Kaffee-Pads dabei.

Meine Paranoia blieb mein letzter, lebensrettender Halt auf der kurvigen, nassen Straße. In einer Kurve wäre es beinahe um mich geschehen. Ich kam an eine T-Kreuzung, die nur Thines als „direction“ auswies. Ein Schild warnte große Reisebusse vor dem Ende der Welt, als wolle der heilige Ort alleine sein. Zwei dreimal versuchte mich die Region noch abzuschütteln indem sie mit Franzosen auf mich schoss, die den Mittelstreifen für einen Hinweis auf Einspurigkeit interpretierten. Dann war der Spuk vorbei.

Es gibt wohl Orte auf dieser Welt, die keinen Spaß verstehen. Wir nennen sie Kirchen.

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